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Ein altkranker Keiler

Autor: Datum: 01.12.2018

Beim Blick vor die Haustüre war der Himmel bewölkt und der Mond nicht zu sehen. Es blies ein eisiger Wind und in der Hoffnung, dass er mir ab und an die Wolken zur Seite schieben würde, brach ich doch zu einem offenen Drückjagdbock auf, der auf einem Feld umgeben von Wald stand. Die warme Ansitzkombi von Merkel würde mich schon warmhalten. Zweieinhalb Stunden saß ich immer noch ohne Anblick. Die Hände fröstelten vom Abglasen der Kirrung und gedanklich war ich schon am Abbaumen. Dann plötzlich hörte ich ein Rascheln und Quieken. Eine Bache mit acht Frischlingen erschien am Waldrand und machte sich über den Mais auf der Kirrung her. Als endlich ein Frischling frei stand, spannte ich meine Waffe und wartete im Anschlag darauf, dass er sich breit stellte. Doch schon ertönte das „waff“ der Bache und die Fläche war leer. Ich entspannte meine Helix und stellte sie gefrustet in die Ecke. Hatte sie Wind bekommen? Das war eigentlich nicht möglich! Ich entdeckte die schwarzen Schatten erneut etwas weiter rechts im hohen Gras. Die Bache sicherte immer wieder nervös in dieselbe Richtung und zog dann doch wieder auf die Kirrung. Da trat mit schwankendem Gang etwas aus dem Dunkeln hervor, ein größeres Schwein- oder waren es zwei? Ein paar Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, die Sicht war schlecht und irgendetwas bewegte sich ununterbrochen auf Höhe des Pürzels der großen Sau. Die Frischlinge waren davon ebenso irritiert wie ich. Zwei machten sich von hinten an das Stück heran und windeten an dem Ding, dass da unentwegt in der Luft ruderte und zappelte. In dem Moment wurde mir klar, dass da kein zweites Schwein stand. Es war ein kranker Lauf, der den taumelnden Gang verursachte und nicht mehr auf den Boden kam. Ich nutze die erstbeste Gelegenheit und schoß auf das jetzt freistehende Stück.

Beim nächsten Blick den ich erhaschen konnte, stellte ich entsetzt fest, dass die Fläche leer war. Da lag kein großes Schwein weit und breit! Mit zitternden und steifen Händen versuchte ich meinen Jagdpächter zu kontaktieren: Mailbox – na prima! Das letzte Stück der Strecke waren wir zusammen gefahren und sowohl die Taschenlampe, als auch mein Schweißhund waren im Pickup. Hatte ich den Schuss verrissen? Ein mulmiges Gefühl überkam mich, bei dem Gedanken alleine abzubaumen. Womöglich lag er im Dickicht und würde mich im Dunkeln angehen! Unzählige Gedanken schossen mir durch den Kopf und die Zeit erschien mir ewig, bis endlich das erhoffte Motorengeräusch näher kam. Mit meiner Hündin suchten wir nach dem Anschuss. Kein Tropfen frischer Schweiß war zu sehen – nur eine alte Stelle, an der ich zwei Nächte zuvor einen Frischling erlegt hatte. Wir fährteten den Waldrand ab und mein Hund zog zielstrebig durch die Büsche in eine Buchenverjüngung. Auf den getrockneten Blättern fand ich endlich eine Bestätigung und in Sichtweite lag reglos ein ca 4 jähriger Keiler. Der linke Hinterlauf hatte einen alten Keulenschuss, er hing steif in der Luft. Überraschenderweise fehlte auch am rechten Vorderlauf eine Afterklaue. Die Fortbewegung war so sicher quälend und schmerzhaft. Der Schuss saß kurz hinterm Blatt, so war er noch einige Meter gegangen. Endlich wich die Anspannung gefolgt von unbeschreiblicher Freude! Zum Glück hatte ich nicht gleich den Frischling beschossen und konnte so das kranke Stück vor weiterem Leiden bewahren. Ein unvergessliches Erlebnis, an das ich sicher noch oft zurück denken werde… Jenny Reichelt

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