Blog

Ein außergewöhnlicher Bergbock

Autor: Datum: 28.05.2018

Zwei Tage lang hat es durchgehend geregnet in den bayerischen Bergen, in denen ich so gerne Zeit verbringe und wo ich seit einem Jahr einen Pirschbezirk von einigen hundert Hektar bejage. Die Jagdmöglichkeit habe ich wohl in erster Linie meinem Hund zu verdanken, dem sein Ruf als fährtentreuer Fernaufklärer weit vorauseilt. Ein Jahr habe ich gebraucht, um mich im neuen Jagdbezirk einigermaßen zurecht zu finden. 6 Stück Wild habe ich nach diesem ersten Jahr im geistigen Streckenbuch vermerkt. Nicht gerade viel für die Fläche aber auch nicht ganz schlecht, wenn man die schwierigen Verhältnisse bedenkt. Im Schnitt braucht es 10 Ansitze oder Pirschgänge für ein Stück Wild. Kein Vergleich mit den fast lächerlich einfachen Verhältnissen in mir bekannten Flachlandrevieren, aber dafür ist die Freude an der Beute übergroß, stellt sich doch mal Waidmannsheil ein. An diesem speziellen Tag hängen die Wolken noch immer tief und gehen direkt in den Nebel über. Ab und an klart es auf, wenn der Wind die Nebelschwaden teilt.
Viel Hoffnungen mache ich mir nicht, auch wenn die „Nach-Regen-Stimmung“ in den meisten anderen Revieren Garant für schnellen Erfolg ist. Hier oben auf 1600 m ü NN ist die Situation eine andere. Die Wilddichte ist gering, was allerdings auch bitter nötig ist, wenn der Wald sich bei der kurzen Vegetationsperiode noch eigenständig erneuern können soll. Ein mannshohes Bäumchen ist selten unter 30 Jahren alt. Nachdem ich zwei Stunden in einem Bodensitz zugebracht habe, entschließe ich mich zu einer kleinen Pirsch. Eine Baumleiter, die ich letztes Jahr aufgestellt habe, soll das Ziel sein. Hier vermute ich einen wahrscheinlich mehrjährigen Rehbock, den ich einmal einer Fatamorgana gleich neben einer alten Eibe gesehen habe. Allerdings war der Winter lang und schneereich. Ob der Bock es überstanden hat, ist fraglich.  Den Sitz erreiche ich ohne Zwischenfälle, glase die wenigen mir einsehbaren Flächen ab und schließe die Augen. Anblick erscheint mir unwahrscheinlich. Wie so oft… Als ich die Augen wieder öffne, leuchtet vor mir ein Rehbock aus dem Grün, der heftig an einer Tanne fegt. Ich kann es kaum glauben, wage micht nicht zu bewegen. Der Bock steht auf einem kleinen Kalkplateau in Augenhöhe, knapp 10 Meter vor mir. Für hiesige Verhältnisse kapital, wie auf die kurze Entfernung sofort zu erkennen ist. Bis ich eine Hand an der Merlkel K3 habe, dauert es 5 Minuten, in denen der Bock mir zweimal sichernd in die Augen schaut. Die Waffe steht links, ich bin Rechtsschütze: Bingo. Zwei weitere Male straft der Rote meine unbeholfenen Bewegungen mit aufmersamemem Blick, dann setzt er zur Flucht an und ich reiße die Waffe an die Backe. Gottseidank steht das ZF auf lediglich 3fache Vergrößerung, sodass ich den Bock schnell im Absehen habe und auf 20 Meter schräg von hinten Funken reiße – Treffer!
Der Bock liegt; das flotte Barnes hat wieder mal ganze Arbeit geleistet. Nichts hält mich mehr auf meiner Leiter. Lange sitze ich so da, breche dem Bock einen Eiben-Bissen und schmunzle vor mich hin. Bis ich wieder ein derartiges Waidmannsheil haben werde, ziehen vermutlich noch einige Jahre ins Land. Allerdings ist dieser Bock mehr, als ich je erwartet hätte und so grinse ich noch immer vor mich hin, als abends die Leber in der Gusseisernen schmort und kurz darauf besser schmeckt, als je eine andere Rehleber zuvor…

Zum Seitenanfang